Internet-Wunderkind
15. Januar 2013 19:43;
Akt: 16.01.2013 18:41
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Wurde Aaron Swartz in den Tod getrieben?
von Roman Rey - Er kämpfte für ein freies Web – nicht
immer mit legalen Mitteln. Weil Aaron Swartz 35 Jahre Gefängnis drohten,
nahm er sich das Leben. Die Netzgemeinde trauert und ist wütend.

Der
Internet-Aktivist Aaron Swartz hat sich am Samstag in seiner Wohnung in
New York erhängt. (Bild: Keystone/AP/Michael Francis Mcelroy)
Wir leben in einer Zeit, in der Programmierer die Welt
verändern können. Der 26-jährige Aaron Swartz war einer von ihnen. Im
zarten Alter von 14 Jahren entwickelte er die wegweisende
RSS-Technologie mit, später baute er das erfolgreiche
Social-News-Netzwerk
Reddit mit
auf. Er war bei der technischen Umsetzung der Creative-Commons-Lizenzen
beteiligt und technischer Leiter der Open Library, einer freien
Netz-Bibliothek. Und er war entscheidend daran beteiligt, den
Stop Online Piracy Act
(SOPA) zu kippen und damit weltweit eine nie gekannte Aufmerksamkeit
für Internet-Regulierung zu schaffen. Swartz setzte sich für ein offenes
Internet und für freien Informationszugang ein. Damit machte er sich
nicht nur Freunde – vor allem bei den Behörden.
Im Juli
2012 wurde Swartz angeklagt, 4,8 Millionen wissenschaftliche Artikel der
Online-Datenbank «JSTOR» am Massachusetts Institute of Technology (MIT)
illegal heruntergeladen zu haben. Obwohl er ein beliebter Gast auf dem
Campus war, war er kein eingetragener Student. Swartz drohten 35 Jahre
Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu einer Million Dollar. Letzten
Freitag, wenige Wochen vor dem Start des Prozesses, hat sich der
26-Jährige, der unter Depressionen litt,
in seiner Wohnung in New York erhängt.
Trauer und Wut im Internet
Die
Nachricht von seinem Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Auf
Webseiten wie Reddit, Hacker-News und Boing Boing zeigten sich tausende
von Usern bestürzt. Auf ihren Blogs und sozialen Netzwerken betrauerten
prominente Internet-Persönlichkeiten wie
Cory Doctorow,
Matt Haughey oder
Danah Boyd den Verlust. Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Webs, klagte
auf Twitter:
«Aaron ist tot. Weltenwanderer, wir haben einen Weisen verloren. Hacker
für das Recht, wir sind einer weniger. All ihr Eltern, wir haben ein
Kind verloren. Lasst uns weinen.»
Doch nicht nur Trauer
war spürbar. Die Staatsanwaltschaft und auch die MIT-Universität
gerieten heftig in die Kritik: Harvard-Professor Lawrence Lessig, Freund
und Mentor von Swartz, spricht in einem emotionalen
Blog-Eintrag
von einer «Schande». Man habe angedeutet, Aaron habe mit dem Diebstahl
von Eigentum im Wert von Millionen von Dollar Profit schlagen wollen.
«Aaron hat nie im Leben etwas gemacht, um Geld zu machen. Er arbeitete
immer und nur für das allgemeine Gut.» Nun sei er tot, durch «Schikane»
(«bullying») in den Abgrund getrieben.
«Wenn die Anklage
recht hat, dann muss es eine Bestrafung geben. Aber war das, was ihm
drohte, angemessen?», fragt Lessig rhetorisch. Ähnlich äussert sich der
Jurist
Alex Stamos,
der bei dem Prozess als neutraler Experte fungieren sollte. «Ich würde
sagen, Aaron handelte unbedacht. Unbedacht wie jemand, der einen Check
im Supermarkt schreibt, während ein dutzend Leute in der Schlange
stehen. Ich erkenne einen Kriminellen, wenn ich ihn sehe. Aaron ist
keiner. Für das, was er getan hat, sollte es nicht 35 Jahre Gefängnis
geben.»
Familie: Anklage und Universität sind mitschuldig
Auch
die Familie Swartz übt Kritik. In einem Statement schreibt sie: «Aarons
Tod war nicht nur eine persönliche Tragödie. Sie ist das Produkt eines
Justizsystems voller Einschüchterung und Unverhältnismässigkeit.
Entscheidungen der Behörden und der MIT-Universität trugen zu seinem Tod
bei.» Gemäss
«Wall Street Journal»
habe sich Swartz‘ Anwalt mit der Anklage in einem Vergleich einigen
wollen. Diese habe aber darauf bestanden, dass sich der Angeklagte
schuldig bekenne und eine Gefängnisstrafe verbüsse. Freunde und Anhänger
von Swartz werfen der Anklage vor, sie habe an ihm ein Exempel
statuieren wollen.
Die Chefanklägerin Carmen Ortiz gerät nun unter Beschuss.
Eine Petition,
die ihre Absetzung fordert, weil sie den Grundsatz der
Verhältnismässigkeit missachtet habe, wurde bis Dienstag 30'00- mal
unterschrieben. Das Weisse Haus ist verpflichtet, sich um alle
Petitionen zu kümmern, die 25'000 Unterschriften erreichen. Die
Beschuldigte wollte sich gemäss
«Huffington Post» «aus Respekt gegenüber der Familie zu diesem Zeitpunkt» nicht zu den Vorwürfen äussern.
Die Uni startet eine interne Untersuchung
Die
Uni steht in der Schusslinie der Familie und der Anhänger von Swartz,
weil es sich auf die Seite der Behörden stellte – im Gegensatz zu JSTOR,
der Online-Bibliothek, von der Swartz heruntergeladen hatte. Die
Non-Profit-Organisation liess alle Vorwürfe gegen ihn fallen und bat die
Behörden, es ihnen gleichzutun. Die Universität, deren Website am
Sonntag durch Hack-Angriffe des «Anonymous»-Kollektivs zeitweise
lahmgelegt wurde, zeigt sich betroffen. «Der Gedanke schmerzt mich, dass
MIT eine Rolle bei den Ereignissen gespielt haben soll, die in dieser
Tragödie endeten», schrieb Präsident Rafael Reif
in einem Statement.
Er habe eine interne Untersuchung des Falles angeordnet. «Es ist Zeit
für alle Beteiligten, über ihr Handeln nachzudenken, und das schliesst
uns alle am MIT mit ein.»
Aaron Swartz wird am Dienstag beerdigt.