Freitag, 9. Januar 2015

Kämpfte auch für Meinungsfreiheit - Wurde Aaron Swartz in den Tod getrieben?



Internet-Wunderkind

15. Januar 2013 19:43; Akt: 16.01.2013 18:41 Print

Wurde Aaron Swartz in den Tod getrieben?

von Roman Rey - Er kämpfte für ein freies Web – nicht immer mit legalen Mitteln. Weil Aaron Swartz 35 Jahre Gefängnis drohten, nahm er sich das Leben. Die Netzgemeinde trauert und ist wütend.

storybildDer Internet-Aktivist Aaron Swartz hat sich am Samstag in seiner Wohnung in New York erhängt. (Bild: Keystone/AP/Michael Francis Mcelroy)
Wir leben in einer Zeit, in der Programmierer die Welt verändern können. Der 26-jährige Aaron Swartz war einer von ihnen. Im zarten Alter von 14 Jahren entwickelte er die wegweisende RSS-Technologie mit, später baute er das erfolgreiche Social-News-Netzwerk Reddit mit auf. Er war bei der technischen Umsetzung der Creative-Commons-Lizenzen beteiligt und technischer Leiter der Open Library, einer freien Netz-Bibliothek. Und er war entscheidend daran beteiligt, den Stop Online Piracy Act (SOPA) zu kippen und damit weltweit eine nie gekannte Aufmerksamkeit für Internet-Regulierung zu schaffen. Swartz setzte sich für ein offenes Internet und für freien Informationszugang ein. Damit machte er sich nicht nur Freunde – vor allem bei den Behörden.
Im Juli 2012 wurde Swartz angeklagt, 4,8 Millionen wissenschaftliche Artikel der Online-Datenbank «JSTOR» am Massachusetts Institute of Technology (MIT) illegal heruntergeladen zu haben. Obwohl er ein beliebter Gast auf dem Campus war, war er kein eingetragener Student. Swartz drohten 35 Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von bis zu einer Million Dollar. Letzten Freitag, wenige Wochen vor dem Start des Prozesses, hat sich der 26-Jährige, der unter Depressionen litt, in seiner Wohnung in New York erhängt.
Trauer und Wut im Internet
Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Auf Webseiten wie Reddit, Hacker-News und Boing Boing zeigten sich tausende von Usern bestürzt. Auf ihren Blogs und sozialen Netzwerken betrauerten prominente Internet-Persönlichkeiten wie Cory Doctorow, Matt Haughey oder Danah Boyd den Verlust. Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Webs, klagte auf Twitter: «Aaron ist tot. Weltenwanderer, wir haben einen Weisen verloren. Hacker für das Recht, wir sind einer weniger. All ihr Eltern, wir haben ein Kind verloren. Lasst uns weinen.»
Doch nicht nur Trauer war spürbar. Die Staatsanwaltschaft und auch die MIT-Universität gerieten heftig in die Kritik: Harvard-Professor Lawrence Lessig, Freund und Mentor von Swartz, spricht in einem emotionalen Blog-Eintrag von einer «Schande». Man habe angedeutet, Aaron habe mit dem Diebstahl von Eigentum im Wert von Millionen von Dollar Profit schlagen wollen. «Aaron hat nie im Leben etwas gemacht, um Geld zu machen. Er arbeitete immer und nur für das allgemeine Gut.» Nun sei er tot, durch «Schikane» («bullying») in den Abgrund getrieben.
«Wenn die Anklage recht hat, dann muss es eine Bestrafung geben. Aber war das, was ihm drohte, angemessen?», fragt Lessig rhetorisch. Ähnlich äussert sich der Jurist Alex Stamos, der bei dem Prozess als neutraler Experte fungieren sollte. «Ich würde sagen, Aaron handelte unbedacht. Unbedacht wie jemand, der einen Check im Supermarkt schreibt, während ein dutzend Leute in der Schlange stehen. Ich erkenne einen Kriminellen, wenn ich ihn sehe. Aaron ist keiner. Für das, was er getan hat, sollte es nicht 35 Jahre Gefängnis geben.»
Familie: Anklage und Universität sind mitschuldig
Auch die Familie Swartz übt Kritik. In einem Statement schreibt sie: «Aarons Tod war nicht nur eine persönliche Tragödie. Sie ist das Produkt eines Justizsystems voller Einschüchterung und Unverhältnismässigkeit. Entscheidungen der Behörden und der MIT-Universität trugen zu seinem Tod bei.» Gemäss «Wall Street Journal» habe sich Swartz‘ Anwalt mit der Anklage in einem Vergleich einigen wollen. Diese habe aber darauf bestanden, dass sich der Angeklagte schuldig bekenne und eine Gefängnisstrafe verbüsse. Freunde und Anhänger von Swartz werfen der Anklage vor, sie habe an ihm ein Exempel statuieren wollen.
Die Chefanklägerin Carmen Ortiz gerät nun unter Beschuss. Eine Petition, die ihre Absetzung fordert, weil sie den Grundsatz der Verhältnismässigkeit missachtet habe, wurde bis Dienstag 30'00- mal unterschrieben. Das Weisse Haus ist verpflichtet, sich um alle Petitionen zu kümmern, die 25'000 Unterschriften erreichen. Die Beschuldigte wollte sich gemäss «Huffington Post» «aus Respekt gegenüber der Familie zu diesem Zeitpunkt» nicht zu den Vorwürfen äussern.
Die Uni startet eine interne Untersuchung
Die Uni steht in der Schusslinie der Familie und der Anhänger von Swartz, weil es sich auf die Seite der Behörden stellte – im Gegensatz zu JSTOR, der Online-Bibliothek, von der Swartz heruntergeladen hatte. Die Non-Profit-Organisation liess alle Vorwürfe gegen ihn fallen und bat die Behörden, es ihnen gleichzutun. Die Universität, deren Website am Sonntag durch Hack-Angriffe des «Anonymous»-Kollektivs zeitweise lahmgelegt wurde, zeigt sich betroffen. «Der Gedanke schmerzt mich, dass MIT eine Rolle bei den Ereignissen gespielt haben soll, die in dieser Tragödie endeten», schrieb Präsident Rafael Reif in einem Statement. Er habe eine interne Untersuchung des Falles angeordnet. «Es ist Zeit für alle Beteiligten, über ihr Handeln nachzudenken, und das schliesst uns alle am MIT mit ein.»
Aaron Swartz wird am Dienstag beerdigt.

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